20.Januar 2006

Memorandum für Herrn S

In der Nacht hatte es auf den schon vorhandenen Schnee, auf das Vordach des Wohnturms inmitten der Gropiusstadt, nochmals geschneit - zu einer weißen Unberührtheit.

Ein grauer, frostiger Tag - einer von vielen, die sich im Januar aneinander reihen und die Zeit einfrieren, zu einem ewigen Moment.

Ein Tag an dem eine Tat zum Kippmoment eines Schicksals wurde.

Angst, Streit, Liebe, Hass, Hoffnungslosigkeit, Wagemut werden zur letzten Leerstelle, zum eisigen Stillstand erstarren.

Herr S sprang in den Schnee – vom 15. Stock des Hochhauses aus seinem Fenster. Über ihm bauten sich noch 9 weitere Stockwerke auf, aber seine Wohnung war sein Kippmoment, um seinen zertrümmerten Körper als Zeichen der Öffentlichkeit und den Nachbarn zu offenbaren.

 Als die Rettungskräfte und die Polizei  den Körper von Herrn S vom Vordach holten und sich die Schar der wartenden Menschen auflöste, blieb auf dem Vordach der Körperabdruck von Herrn S als eingefrorenes Moment seiner letzten Tat zurück.

In der folgenden Nacht durchzog jene Vorstadt ein weißer Nebeldunst, aus dem sich ein feiner Nieselregen bildete, der  an dem Körperabdruck des Herrn S fraß, bis nichts mehr übrig blieb.

 St.eel

 Die Arbeit entstand im Rahmen des Pilotprojekts Gropiusstadt, dem internationalen Künstlerresidenzprogramm, bei dem ein Wohnatelier in einem der Hochhäuser  zur Verfügung gestellt wurde.    

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