akustische rauminstallaion fortissimo berlin  nov. 2004

 

Ein Hauch von Raserei  U-Bahnsteig der Linie 2 auf dem Alexanderplatz zu später Stunde: im Bruchteil einer Sekunde rast ein Rennwagen hindurch. Irritation, Erschrecken, Verstörung, dann Heiterkeit bei den wartenden Fahrgästen; es war kein Anschlag, auch kein neuer Hochgeschwindigkeitszug der BVG, sondern lediglich eine akustische Wahrnehmung. Die assoziativen Gedankengänge zur Erforschung der Ursache brauchten länger als der Vorfall andauerte. Der möglicherweise entstehende Wunsch nach Wiederholung mit dem Wissen um das Bild, das das Gehirn zusammengesetzt hat, wird nicht erfüllt. Das ultimative Traumbild der Automobil-Industrie bleibt eine verstörende Momentaufnahme. Erst am darauf folgenden Tag wird der Formel-1-Bolide wieder akustisch aktiviert werden. Wer noch einmal hinhören möchte, muss sich allabendlich auf dem U-Bahnhof einfinden. Nach drei Wochen wird der interventionistische Eingriff bereits  beendet. Eine Gewöhnung an die Verstörung ist von Stefan Micheel nicht beabsichtigt, der mit einer mehrspurigen Aufnahmetechnik die authentische Übertragung ermöglicht, indem er 16 hintereinander geschaltete Soundboxen in unscheinbaren, der Farbigkeit des Bahnhofes angepassten Metallröhren auf der gesamten Länge des Bahnsteiges installierte.

 Es hat bereits viele akustische Simulationen von Künstlern im öffentlichen Raum gegeben. Die umgebende städtische Situation wurden in der Regel zum Anlass genommen, Ungewohntes zu inszenieren und dadurch Erwartungshaltungen von Passanten zu irritieren: zwitschernde Vögel, rauschende Bäche, gesprochene Texte, nicht definierbare Geräuschkulissen setzten an Orten, wo diese akustischen Erlebnisse nicht hingehörten, eher träumerische und verspielte Erinnerungsmomente frei. Keine Intervention hat sich bisher so radikal und aggressiv in Konzept und Realisierung zum Ort verhalten wie die Installation von Stefan Micheel.

 Die Perfektion einer technischen Simulation für nur „eine Sekunde Kunst“ (taz) am Tag, löste mehr als erstaunte Reaktionen aus, da Kunst in dieser extremen Reduziertheit nicht nur ungewohnt ist, sondern auch schnell als luxuriöse Geste eines Künstlers missverstanden werden kann. Für Micheel wäre jedoch jede Wiederholung ein Gewöhnungseffekt geworden, der zur Verniedlichung seines „akustischen Anschlages“ beigetragen hätte. Er wollte keine Erwartungshaltung bedienen und durch die Komprimierung auf einen einmaligen Augenblick menschliches Gewohnheitsverhalten extrem belasten und herausfordern. Immer wieder beobachtete er, wie wartende Menschen erschrocken in die Hocke gingen, um nach der Phase der Desorientierung erleichtert wieder in die Realität zurückzufinden. 

Die Idee selber ist alles andere als eine verwöhnte künstlerische Geste. Es ist die Konfrontation mit gesellschaftlichen Widersprüchen in Reinform:

Ein Formel-1-Rennwagen ist der Inbegriffs eines Wunderwerks der Technik; ein rasender Hochleistungscomputer, der in vier Tagen die Welt umrunden könnte; auf Grund seiner Beschleunigungskomponenten in der Lage wäre, kopfüber an der Decke zu fahren; dessen Sitzschale dem eines Kampfjets vergleichbar ist und der Unsummen an Entwicklungskosten und -energien verschlingt, um als Statussymbol der konkurrierenden Automobil-Hersteller bei Präsentationen oder Rennen von einer Person im Kreis herumgefahren zu werden. Die U-Bahnen sind dagegen in der Lage mit einem wahrscheinlich weitaus geringerem Energieverbrauch täglich tausende von Menschen umweltfreundlich durch die Stadt befördern.  

Dafür gilt der Rennwagen im Gegensatz zur U-Bahn als Symbol für überschäumenden Luxus der Superlative und wird als Sinnbild größtmöglicher Mobilität und individueller Freiheit hochstilisiert. Die Tatsache, dass der Fahrer sich für die Renn-Performance in das Monocoque, der für ihn individuell gefertigten Sicherheitszelle aus Kohlefaserverbundwerkstoff Karbon hineinzwängen muss und zur weitgehenden Bewegungsunfähigkeit verurteilt ist, wird als „der sichere Formel-1-Arbeitplatz“  verkauft. In dieser Weise eingepasst wird der Fahrer zum Teil der Technik und reduziert auf die wenigen von ihm erforderlichen Reaktionen, die zur Steuerung seines Geschosses noch von menschlicher Hand notwendig sind. Millionen von Menschen bezeichnen sich als begeisterte Anhänger dieser „Sportart“. Sie sind mit Zuschauen und Konsumieren zufrieden zu stellen und werden als Klientel von einem Automobilmarkt umworben, der mit immer schnellerer und sicherheitstechnisch ausgeklügelterer Technologie prahlt, die in der Werbung vollkommen geräuschlos ihre Kompatibilität mit Natur und Umwelt vorgaukelt und für alle Risiken der Asphaltpisten ein Patentrezept bereithält, von Airbags bis zu beheizbaren Sitzen.  

Wachsende und schnellere Mobilität wird werbestrategisch gern mit steigender Kommunikation gleichgesetzt, während nüchtern betrachtet die Mutation von „Mensch und Maschine“ und die „uneingeschränkte Ich-Mobilität“ (Stefan Micheel) das Ziel weiterer Entwicklungen sein wird. Kommunikative Begegnungen kämen dann einer Belästigung und Behinderung gleich. Die Relation zwischen der Verschwendung von Ressourcen, die benötigt werden, um 10 Minuten schneller von A nach B zu kommen, und der effektiven Zeitersparnis, ein damit einhergehendes Abwägen von Entscheidungsalternativen, die eine Verantwortung für gesellschaftliche Perspektiven zeigen, spielen in diesen Prozessen schon lange keine Rolle mehr. Paul Virilio hat Ende der 1980er Jahre ein Essay über die totale Unterordnung menschlicher Bedürfnisse angesichts technologischer und medialer Fortschritte überschrieben mit „Rasender Stillstand“ - ein Titel, der auch die Arbeit von Stefan Micheel treffend charakterisiert.

Leonie Baumann  2004     (Berlin Alexanderplatz U2 = 03/04 2.Teil       ISBN 3-926796-81-2)

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