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Künstler, Zen und hohe Berge

In einer Zeit ohne gültige Denkmodelle schaffen sie (die Künstler) ein Modell, das die gegenwärtigen emotionalen Tendenzen ad absurdum führt: Die Ikonographie des Künstlers vereint Klarsicht und Offenheit, sie verzichtet auf Rhetorik zugunsten einer ethischen Verantwortung. Dies macht Kunst zur Notwendigkeit. Sie ist Widerstand gegen eine zerbrochene Wirklichkeit, die Künstler kalkulieren Konflikte ein.

Das Prinzip

Die Komik, die durch Überraschung entsteht, aber auch die Spannung, daß schon bekannte Ereignisse erwartet werden, dann aber nicht eintreten, sind wichtige Faktoren ihrer Arbeit. Ebenso die Konfrontation von Klischees, die eigentlich nicht zusammenpassen. Die Rede ist von den beiden Berliner Künstlern Stefan Micheel und Hans Winkler, die sich als p.t.t.red (paint the town red) bezeichnen, und ihren Aktionen, die oft über lange Zeit und als sorgfältige Inszenierung vorbereitet werden.

Ihre - meist temporären - Aktionen führen sie an weltweit verteilten Orten durch. Sie folgen dabei dem Prinzip, durch einfache Implantate in den realen und virtuellen öffentlichen Raum, aber auch in die freie Natur, ein komplexes Feld von Bedeutungsebenen herzustellen, in dem sich unmittelbar aufdrängenden, modellhaften, metaphorischen, historischen oder klischeehaften Bezügen ständig Nahrung verschafft wird, zugleich aber immer auch andere, weniger offensichtliche Ebenen der Beurteilung als Möglichkeit spürbar werden. Einige der Aktionen bleiben fiktiv, die meisten jedoch finden - mit oder ohne Beteiligung des Kunstbetriebs - statt.

 

New York City, 25.6.1996

1995/96 verbrachten sie als Stipendiaten des P.S. 1 - Museums ein Jahr in New York City und realisierten u.a. das Projekt ‘freiheitsstatue’: ‘Nach einer 14-tägigen Beobachtung des Sicherheitssystems der Freiheitsstatue zeichnete sich für p.t.t.red eine Lücke von 15 Minuten ab, was einen Freiraum brachte, um rote Filter an 56 Richtscheinwerfern zu plazieren. In der Nacht zum 25.6.1996 erstrahlte erstmalig die Freiheitsstatue vor den Toren New Yorks im roten Licht. In der Nacht zum 26.6. war alles wieder beim alten und die Statue wieder ins rechte Licht gerückt.’ (p.t.t.red)

Langenhagen, 28.2.1997

59 Plakate ließen sie im ganzen Stadtgebiet von Langenhagen, im Rahmen der Reihe ‘vor ort - Kunst in städtischen Situationen’, anbringen:

‘Ulrike Meinhof spricht über ihre Verhaftung am 15.6.1972 in Langenhagen

am 28.2. 1997 um 20 Uhr auf dem Marktplatz in Langenhagen.’

Zum Termin wurde auf dem Marktplatz eine Tribüne mit zwölf Stühlen errichtet. Nach einer teilweise hitzigen Diskussion in der Öffentlichkeit, bereits während der fünftägigen Plakataktion zuvor, kündigte sich nun ein ‘Lifeauftritt’ an - zwölf Stühle für zwölf Geschworene, die ein Urteil fällen sollen? Vielleicht sogar eine Art ‘Berufungsinstanz’, die nach 25 Jahren neu urteilen sollte? Gegen Abend wurde dann das proportional überhöhte Rednerpult aufgerichtet und ab 20.00 Uhr eine Stunde lang mit einem Bühnenscheinwerfer angestrahlt. Ulrike Meinhof, die sich 1976 in der Haft in Stuttgart/Stammheim das Leben genommen hat, wurde in den Erinnerungen der etwa achtzig bis hundert Besucher präsent, die sich - nach der Berichterstattung in Presse und Fernsehen - auf dem Marktplatz versammelt hatten. Als wesentlicher Teil des Projektes entstand die Gesprächssituation als eine Art Skizze.

 

Zugspitze/Berlin 1989

Der ambivalente Prozeß der Entfremdung von der Natur durch menschliche Erkenntnis und technische Möglichkeiten ist ein Thema, das sich im Werk der beiden Künstler von p.t.t.red - Hans Winkler und Stefan Micheel immer wieder als ironische Brechung findet: Der Zugspitze, dem geologisch höchsten Parameter Deutschlands, haben sie schon einmal die steinerne Spitze abgesägt und das Geröll in ihrer Berliner Loft- Galerie in einen Betonmischer gesteckt und während eines vierwöchigen Prozesses zermahlen.

Moderne Technologien lassen sich aber auch nutzen, unserer zersiedelten Umwelt das ‘natürliche’ Aroma wieder künstlich hinzuzufügen: an verschiedenen Orten installierten sie eine eigens entwickelte ‘Zwitschermaschine’.

 

Brennerpaß, Sommer 1997

In Sommer 1997 widmeten sie sich den Alpen, der Gebirgslandschaft inmitten Europas. Geographisch ein schwer zu überwindendes Hindernis zwischen Mittel- und Südeuropa, historisch ein Ort europäischer Geschichte seit der Antike: Exemplarisch steht dafür vor allem der Brennerpaß, auf den sich ihre Aktion konzentrierte. Ein kleiner Ort des rasenden Stillstandes: Verkehrsströme von Nord nach Süd bewegen sich durch dieses geographische Nadelöhr - konkret nur ein kleiner Ort im Italienisch- Österreichischen Grenzgebiet , aber mit extrem hoher Bedeutung für Bewegung und Geschwindigkeit im zusammenwachsenden Europa. Diese Stelle des Übergangs zwischen Kulturen und Nationen, und die Landschaft um den Paßübergang ist das Gebiet, in dem ‘treffpunkt niemandsland’ stattfand.

Zwei Stunden Fußmarsch aus Brenner - Ort (und dabei die Überwindung von 800 Höhenmetern) führten zur Stelle, an der Stefan Micheel und Hs. Winkler ihren künstlerischen Eingriff installiert hatten: Sie funktionierten eine Schutzhütte zur Einsiedlerbiblothek um: Ein einsamer Ort der Ruhe, aber auch der intellektuellen Neugier, ein heiliger Gral des Wissens inmitten der kargen Panoramen- Natur. Ein Besucher, der sich nach der Anmeldung im Bahnhofsrestaurant den Schlüssel geholt hatte, konnte die Bibliothek nutzen und auch in der Hütte übernachten. Und das im ‘treffpunkt niemandsland’, auf 2100 m Höhe, westlich vom Brennerpaß. Treffen konnte man dort jedoch niemanden persönlich, sondern nur literarisch, als Autor oder Romanfigur. Wer ankam, fand alles, was zum Einsiedlerleben dazugehört: Bett, Tisch und Ofen, sowie eine kleine Kochstelle und natürlich: Bücher! Weltweit über fünfzig Wissenschaftler, Philosophen und Schriftsteller waren von den beiden Künstlern angeschrieben worden, ihnen ihre Vorschläge für die Buchauswahl zu schicken. Die Liste der Angeschriebenen läßt ein wenig die spezifische Literatur, aber auch das wissenschaftliche Interesse der Generation, der die Künstler angehören, spürbar werden: Luise Rinser, Carl Amery, Martin Walser, Peter Handke oder Friedrich von WeizŠcker antworteten, - Bob Dylan, William Burroughs, Sloderdijk, Virilio und Flusser schwiegen - natürlich aus unterschiedlichsten Gründen...

Die eigene, in der Einsamkeit besonders angeregte Kreativität des Besuchers fand in der Hütte ebenfalls ein Betätigungsfeld: Im ausliegenden Tagebuch konnten Erlebnisse oder stille Betrachtungen niedergeschrieben werden. Gedanken vielleicht an das Ende des Mittelalters am 13.4.1336, als Petrarcas gleichermaßen gottesfürchtiger wie auch blasphemischer Wunsch nach Erkenntnis durch den analytischen Weitblick im Erreichen der Spitze des Mont Ventoux in der franzssischen Provence gipfelte, wo er bezeichnenderweise im Moment der Erkenntnis zum Buch griff: In den ‘Bekenntnissen’ des Augustinus schlug er jedoch ausgerechnet die Stelle auf, in der dieser darauf hinweist, daß die Erkenntnis der Natur nicht zu Selbsterkenntnis führt, sondern im Gegenteil dazu, daß man sich selbst verlässt’. Petrarcas Zwiespalt zwischen mittelalterlicher Frömmigkeit und neuzeitlichem, naturwissenschaftlichen Denken findet historisch seine Fortsetzung in der romantisierenden Naturbetrachtung, die immer die Zerstörung der Natur begleitet. Naturromantik, Zivilisationsflucht und Selbstfindung - dazu konnte der Besucher der Einsiedlerbiblothek eine reiche Auswahl finden. Beispielsweise H.D. Thoreaus ‘Walden’ (wahlweise in englischer und deutscher Fassung)

‘Ich wollte tief leben, alles Mark des Lebens aussaugen und so standhaft und spartanisch leben, um alles, was nicht Leben war, davonzujagen.’ Aber auch Goethes ‘Italienische Reise’ oder Handkes ‘Mein Jahr in der Niemandsbucht’ standen auf den Regalbrettern neben Nietzsches ‘Zarathustra’ , dazwischen die Bibel und eine Wanderkarte der Brennergegend.

Kartenmaterial für den zweistündigen Anmarsch, - hinter den letzten Häusern steil hinauf in die alpine Wildnis - hatte man jedoch schon bei der Anmeldung erhalten. Der Aufenthalt war nicht ganz ungefährlich, auch wenn die Künstler einen Blitzableiter installiert hatten: Naturenergie und geistige Energie akkumulieren in der kleinen Hütte, die damit einen realen Schutzraum, aber auch einen schamanischen Ort darstellte.

c Kai Bauer, Langenhagen


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